Shaker Ästhetik - eine Projektion

Nicht nur Architekten haben es sich zur Aufgabe gemacht, eine ganz bestimmte Wirklichkeit zu schaffen und zu vermitteln. Auch Historiker und Sammler stehen mitunter unter Verdacht ihre eigene Haltung in den Vordergrund zu rücken. Ein solcher Fall ist das Beispiel von Edward Deming Andrews. Als Historiker, Sammler und Händler von antiken Möbeln, entdeckte Andrews in den 1920er Jahren das Potential der scheinbar dem Untergang geweihten protestantischen Glaubensgemeinschaft der United Society of Believers in Christ's Second Appearing, besser bekannt als Shaker. Die Shaker sind eine christliche, kommunistische, monastische und zölibatäre Glaubensgemeinschaft und gelten als die erfolgreichste, weil langlebigste utopische religiöse Gemeinschaft in den USA. Aus der Notwendigkeit beschränkter finanzieller Mittel heraus, waren sie zur Zeit ihrer Gründung, 1776, gezwungen, die von ihnen benötigten Alltagsgegenstände entweder aus eigenen Beständen den Bedürfnissen anzupassen und aufzubrauchen oder aber selbst herzustellen. Aus dem Streben nach Perfektion in Herstellung und Benutzbarkeit, dem Verständnis von Arbeit als Dienst an Gott und vor allem aus dem Glauben ein Leben im tausendjährigen Reich des Himmels auf Erden zu führen, entstanden Gegenstände des täglichen Bedarfs, die anfänglich nur zur eigenen Verwendung, später (besonders ab 1830) auch zum Verkauf hergestellt wurden. Mit den gesellschaftlichen Veränderungen in den USA ab Mitte des 19. Jhd, z.B. der Einrichtung eines Wohlfahrtssystems und der zunehmenden Industrialisierung und den damit einhergehenden Arbeitsmöglichkeiten sowie der daraus resultierenden Konkurrenz für die Shaker, begann die Zahl der Mitglieder in den Gemeinden, die über die Neuengland Staaten bis nach Kentucky verteilt lagen, langsam aber stetig zu sinken. Besonders der Verlust bzw. das Fehlen männlicher Shaker führte zu Problemen in der auf Produktion eingestellten Gemeinschaft. Um 1930 setzte die Hauptphase der Gemeindeauflösungen ein. Zu eben dieser Zeit intensivierte Edward Deming Andrews seine Bemühungen um die Shaker. Er kaufte Möbel, sammelte und verkaufte, organisierte Ausstellungen und ließ von dem Fotografen William F. Winter Jr. systematisch Aufnahmen in den Shakergemeinden anfertigen. Sowohl für die Fotografien als auch für die von ihm kuratierte Ausstellungen, schuf er puristische Zimmereinrichtungen, die bei den Shakern, die entgegen vieler Annahmen sehr wohl mit der Zeit gehen, so nicht mehr vorhanden waren bzw. vielleicht sogar nie Bestand hatten. Alles „Überflüssige“ wurde entfernt, so dass eine Atmosphäre der Aufgeräumtheit und Reduzierung entstand. Für ihn war das puristische, perfektionistische, von allem Unnötigen befreite und scheinbar einfache Objekt, exemplarisch für die Shaker. Sein beschränkter Blick ignorierte die verschiedenen Entwicklungsphasen der Shaker. In den folgenden Jahrzehnten prägte Andrews die Rezeption der Shaker in einem solch großen Maße, dass bis heute, 80 Jahre nach einer ersten großen Ausstellung 1933 im New York State Museum in Albany, New York, das Bild der schlichten Shakereinrichtungen weiterhin vorherrscht. Dass die Wirklichkeit anders aussah, zeigen Fotografien, die von den Shakern selbst aufgenommen bzw. in Auftrag gegeben wurden und z.T. als Postkarten in Umlauf kamen. Selbst William F. Winter, jr. fertigte solche ungestellten Aufnahmen an. Die Wohn- und Arbeitsräume waren eben nicht immer frei von weltlichen Gegenständen. Im Gegenteil, im Laufe der Jahre hingen Bilder an den Wänden, es gab Polstermöbel, Zeitschriften wie "Better Homes and Gardens" lagen auf dem Tisch, die Damen trugen, ganz im Stil der Viktorianischen Epoche, Hochsteckfrisuren und so manche Innenansicht verbreitet eher einen Charme von Plüsch und Teppich als einen kühlem Purismus.
l:puristische Einrichtung; r:Viktorianisches Shaker Interieur, 2011

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen