Bauhaus Moderne - eine Projektion

Das Experiment Bauhaus wie es unter Walter Gropius entwickelt und von 1919 bis 1933 Bestand hatte, ist ein prominentes Beispiel für eine projizierte Wirklichkeit. Ziel des Bauhauses war nichts Geringeres als die "Gestaltung von Lebensvorgängen". Es ging nicht um Stuhl, Tisch oder Lampe. Es ging um den Stuhl der an einem Tisch steht, auf diesem steht die Lampe und alles zusammen steht in einem Raum, der wiederum Teil eine Hauses ist in dem Menschen leben. Das Haus steht in einer Stadt, die Stadt gehört zu einer Region und letztendlich zu einem Land und damit zu einem Kulturkreis. All das galt es zeitgemäß zu gestalten. Der Anspruch der ganzheitlichen Gestaltung am Bauhaus lag in dem Bestreben Wohn- und Arbeitsorte zu schaffen, die ein gesundes, hygienisches, bezahlbares und demokratisches Leben für Alle unter den gegebenen sozialen, politischen und finanziellen Bedingungen ermöglichen sollten. Dieses Ziel verwirklichen wollend, war das Bauhaus als Schule, ein Ort an dem das große Ganze immer im Fokus stand und alle Zweige der gestalterischen Disziplinen zu einem gemeinsamen Stamm gehörten. Gropius entwarf nicht nur die Ausbildungsstätte für die Gestalter der Zukunft, er wurde zudem von der Stadt beauftragt, Wohnhäuser für die bekanntesten Meister der Schule zu errichten. Zu diesen zählten 1926 bei Erstbezug der sogenannten Meisterhäuser Gropius selbst, Moholy-Nagy+Feininger, Muche+Schlemmer sowie Kandinsky+Klee. Die drei genannten Paarungen teilten sich je eine Doppelhaus. Allein dem Direktor Walter Gropius stand ein freistehendes Einfamilienhaus zu. Das Architekturbüro Gropius entwickelte sowohl die Gestalt der Gebäude als auch Vorschläge zur farblichen Innengestaltung. Die Möblierung war jedem freigestellt. Es ist jedoch anzunehmen, dass Gropius davon ausging, die Bewohner dieser Villen des modernen Bauens würden sich auch im Interieur an der Moderne orientieren und ganz konkret auf die von Bauhaustudenten und -lehrern entworfenen Ausstattungsgegenstände zurückgreifen. Dem war jedoch meist nicht so. Die Einrichtung folgte den individuellen Vorlieben. Bei Manchem stimmten diese mit der Formensprache des Bauhauses überein, bei der Mehrheit war das jedoch nicht der Fall. Besonders Feininger, Kandinsky und Klee umgaben sich mit Objekten, die so gar nicht zum Bild des Bauhausinterieurs passen sollten. Couch, Teppich, Ohrensessel, Wanduhren und Tischtücher gehören zu den auf historischen Fotos festgehaltenen Wohnbegleitern. Dessen ungeachtet nutzte Gropius die gebauten Manifeste seiner Vision einer besseren Zukunft, für seine Vermittlungszwecke und ließ sowohl filmische Dokumentationen als auch Bild/Textreportagen über das Leben in den Meisterhäusern anfertigen. Bereits zur Eröffnungsfeier des Bauhausgebäudes am 4. Dezember 1926 stand z.B. das Direktorenhaus für Besucher offen. Ise Gropius führte durch das Haus und beantwortete Fragen zu den Details. Kurz darauf folgten Filmaufnahmen vom Leben in den Meisterhäusern, angefertigt von der Humboldt-Film aus Berlin, die 1928 veröffentlicht wurden. Standbilder aus dieser Dokumentation nutzte Gropius zur Bebilderung seines Buches "Die Bauhausbauten in Dessau". In diesem Buch waren mehrheitlich Innenaufnahmen aus seinem bzw. aus der Haushälfte von Moholy-Nagy zu sehen. Die Einrichtungsgegenstände in diesen beiden Häusern entsprachen den Idealvorstellung Gropius und eigneten sich daher besonders, die Forderung nach ganzheitlicher Erneuerung von Lebensumgebungen zu illustrieren und zu untermauern. Auch Führungen für lokale Hausfrauenvereine durch einen Teil der Häuser, sollten für ein besseres Verständnis für die Bauhausideen werben. Die Vorführung des ausklappbaren Bügelbretts, der Tellerwascheinrichtung sowie der bequemen Zubereitung von Tee oder Kaffee direkt im Wohnzimmer von der Couch aus, möglich durch im Raum angebrachte Wasserhähne bzw. Steckdosen, waren für Gropius geeignete Methoden, zukünftige Käufer von den Vorzügen seiner Architektur zu überzeugen. Bei diesen Demonstrationen war es natürlich notwendig, dass in den gezeigten Räumen nicht nur die modernste Haustechnik sondern auch die modernsten, sprich vom Bauhaus gestalteten Möbel und Einrichtungsgegenstände zu sehen waren. Durch diese gezielte und ausgewählte öffentliche Zurschaustellung des Lebens in den Meisterhäusern, erschuf Walter Gropius ein Idealbild vom modernen Leben, das sich bis heute in den Köpfen gehalten hat: Wer am Bauhaus arbeitet und in Bauhausarchitekturen lebt, umgibt sich wohl unweigerlich und ausschließlich mit Bauhausprodukten im professionellen wie auch privaten Umfeld. Zeitschriften wie "Schöner Wohnen" halfen über die Jahrzehnte hinweg, dieses Bild zu bewahren. So ist es nicht verwunderlich, wenn Besucher der heute museal genutzten Meisterhäuser in Dessau, davon ausgehen, sie würden im Inneren und Äußeren "Bauhaus" zusehen bekommen. Die Enttäuschung ist groß, wenn genau das eben nicht der Fall ist: wenn eben kein Bauhausinterieur präsentiert wird und oft noch größer wenn vermittelt wird, dass auch in Zeiten des historischen Bauhauses nur in wenigen Fällen eine dem Bauhaus entsprechende Einrichtung der Häuser vorzufinden war. Dem Umstand, dass einige Bauhäusler, insbesondere Lucia Moholy, prominente Vertreterin des Neuen Sehens, und die Familie Feininger sehr an Fotografie interessiert waren, ist es zu verdanken, dass historisches Fotomaterial vorliegt, auf dem die Diskrepanz zwischen der idealen Wirklichkeit im Sinne des Architekten und der gelebten Realität der Nutzer belegt ist. Von besonderem Interesse ist die Tatsache, dass es neben Erich Consemüller eben gerade auch Lucia Moholy war, die im Auftrage des Architekten Gropius Aufnahmen anfertigte. Die Fotografien, die zur Veröffentlichung kamen, wurden nach den Wünschen von Gropius retuschiert, um störende Details zu beseitigen. Warum war ihm dieses Ideal so wichtig? Gropius verfolgte das Ziel, die Lebensbedingungen in den Städten als Ganzes zu verbessern. Dazu gehörte jedes Detail, angefangen bei der Stadtplanung, über die Häuser bis hin zur Stehlampe im Wohnzimmer. Es ist davon auszugehen, dass sich Gropius nicht der Illusion hingab, jeder würde diesem Ideal uneingeschränkt folgen. Jedoch suggeriert die Präsentation eines Gesamtzusammenhangs immerhin die Möglichkeit, der neuen Gestaltung in Gänze zu folgen.
Meisterhaus Kandinsky/Klee, 2013

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